top of page

Die Wahrheit ins Werk setzen

​

Freitag, 26. Februar 2016

Die Künstlerin Josepha Gasch-Muche (GM) im Gespräch mit dem Direktor (D) des Glass Museum Shanghai.

​


D: Schaue ich auf Ihre Werke, so bewundere ich Ihre einzigartige Handschrift. Woher beziehen Sie als Künstlerin Ihre Inspiration?

​

GM: Vieles in meinem Leben hat mich inspiriert und inspiriert mich weiterhin. Das können Menschen und Dinge sein, aber auch Literatur, Musik, Landschaften, Reisen. Wichtig war für mich als Künstlerin die Begegnung mit meinem Lehrer, dem Wahrnehmungspsychologen und Bauhauskünstler Boris Kleint. Bevor er Professor wurde, hatte er als Assistent von Johannes Itten am Bauhaus gearbeitet. Sein Unterricht öffnete mir die Augen für die Faszination des Materials und ermutigte mich, es zu erforschen. Jedes Material, ob natürlich oder industriell hergestellt, hat einen eigenen Charakter und eine spezifische Struktur. Auf Grund dieser Eigenschaften trägt es die Möglichkeiten seiner Gestaltung bereits in sich. Von Kleint habe ich aber auch gelernt, dass Material sein wahres Gesicht erst in der Zerstörung zeigt. Das heißt, man muss als Künstler in sein Inneres reichen, um ihm auf den Grund zu gehen, und es danach neu zusammensetzen. Ebenfalls wichtig für mich war die Begegnung mit den Werken der amerikanischen Minimal Künstler, Donald Judd, Carl Andre, Sol LeWitt und Agnes Martin. Ihre Suche nach ultimativen Formen und Formen in der Kunst und ihre Betonung geometrische Grundstrukturen haben mich sehr beeinflusst. Aber auch die Beschäftigung mit der Philosophie Martin Heideggers hat mein Kunstverständnis tief geprägt.

 

D: Sie haben als Malerin begonnen. Aus welchem Grund haben Sie sich dem Glas zugewandt?

 

GM: Mein besonderes Interesse galt schon früh der sichtbaren Welt. Aber als Malerin hatte ich dabei zunehmend das Gefühl, mit meinen Bildern an der Oberfläche der Dinge zu bleiben statt zu verstehen, was sie, um Johann Wolfgang von Goethe zu zitieren, im Innersten zusammenhält. In dieser Situation bewunderte ich jeden Versuch, der Welt und Wirklichkeit mittels physikalischer Experimente und Beweise auf die Spur zu kommen. Besonders die Pendel-Versuche des französischen Physikers Léon Foucault fesselten mich, mit denen er 1851 die Rotation der Erde bewies. Sie führten dazu, dass ich versuchte, seine Experimente selbst nachzuvollziehen. Das war für mich zugleich der erste Schritt hin zur Skulptur. Danach entstand eine Reihe von Wandobjekten mit Draht auf Plexiglas, in denen ich bereits die gestalterischen Möglichkeiten des Lichts erforschte. Was das Displayglas angeht, mit dem ich heute arbeite, so glaube ich eigentlich nicht, dass ich es gefunden habe, sondern vielmehr, dass es mich gefunden hat. Ich sage das so, weil ich die enge Symbiose, in der ich mit ihm künstlerisch arbeite, als so außerordentlich beglückend empfinde. Es handelt sich bei dem von mir verwandten Material um ein hauchdünnes Glas, das speziell für die Herstellung von Handys entwickelt wurde. Es wird in einer Glasmanufaktur in der Nähe meines Ateliers hergestellt. Das Glas, das ich für meine künstlerischen Werke benutze, ist das Abfallglas, das bei der Produktion anfällt und das regelmäßig wieder in der Glasschmelze wandert. Nachdem ich länger mit ihm experimentiert hatte, stellte ich fest, dass ich mit dem in viele unregelmäßige Scherben gebrochenen Glas und dem darauf fallenden Licht ganz ohne Pigmente malen konnte. Damit hatte ich meinen Weg gefunden.

 

D: Hat Ihre Vorliebe für das Glas in Ihrer Kunst auch mit Ihrem Leben und Ihrer Persönlichkeit zu tun?

 

GM: Ich glaube schon. Ich gehöre ja zu einer Generation, die in Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg aufgewachsen ist. Es waren Jahre der Restauration. Die Menschen schämten sich der Gräuel und Verbrechen des Nationalsozialismus und des Hitler-Regimes, verdrängten alles oder doch das Meiste von dem, was geschehen war, so gut es ging, und stürzten sich in den Wiederaufbau des Landes. Auch die gestische Abstraktion in der Kunst der Nachkriegszeit markierte einen Rückzug. Erst die Gründung der Gruppe Zéro durch Heinz Mack und Otto Piene, zu der später auch Günther Uecker stieß, markierte den Versuch eines wirklichen Neuanfangs. Man wollte in der Kunst weder den alten Illusionismus noch den neuen Eskapismus, sondern wagte, neue Wege zur Wahrheit zu finden: Durch eine puristische Ästhetik, durch eine Konzentration auf klare Farben und Formen und durch die Entwicklung einer neuen kinetischen Lichtkunst. Das Wahrheitsethos dieser Kunst, das sich auch in der amerikanischen Minimal Art findet, ist für meine eigene Kunst eine ganz entscheidende Maxime. Wahrheit ins Werk zu setzen, ohne dabei die Täuschung zu unterschlagen, welche das Leben permanent für uns bereithält, ist für mich als Künstlerin ein hohes Ziel. Die Arbeit mit dem Glas gibt mir die Möglichkeit dazu.

 

D: Worum geht es Ihnen in Ihrem Werk „Die Schönheit der Gefahr“? Wie würden Sie es dem Publikum beschreiben? Und was wollen Sie mit ihm kommunizieren, welche Geschichte oder Bedeutung vermitteln?

 

GM: Gut! Nun, dazu muss man erst einmal sagen, dass der Titel „Die Schönheit der Gefahr“ nicht von mir, sondern von Ihnen stammt. Mit ihm geben Sie dem Werk eine narrative Dimension, die in meinem Titel in keiner Weise angelegt ist. Ich pflege meinen Werken reine Zahlentitel zu geben, die auf den Tag Ihrer Fertigstellung und Vollendung verweisen. So ist der ursprüngliche Titel des Exponats, das in Ihr Museum in Shanghai gewandert ist, „13.11.13“, womit zum Ausdruck kommt, dass das Werk am 13. November 2013 von mir fertig gestellt wurde. Ich habe allerdings nichts dagegen, dass Sie das Werk für sich umgetauft haben. Ganz im Gegenteil, kommt doch in der Namenstaufe zum Ausdruck, wie Sie selbst das Werk verstehen, wie Sie darauf rational und emotional reagieren. Und darauf kommt es mir an, wenn ich meinen Werken so nüchterne Titel gebe, die lediglich eine buchhalterische Funktion, aber keinerlei inhaltliche Bedeutung haben: Dass der Betrachter völlig unabgelenkt und unbeeinflusst von mir als Autorin das Werk rezipieren kann. Es näher zu beschreiben, erübrigt sich, denn es ist unmittelbar evident. Es ist, was es ist. Oder mit einen Wort des amerikanischen Künstlers Frank Stella: „What you see is what you see.“ Wobei an dieser Tautologie interessant ist, dass jeder etwas anderes in der Kunst sieht, auch wenn das, was er sieht, sich vor seinen Augen nicht verändert. Was man indes von „13.11.13“ kaum sagen kann, weil das Werk bei wechselndem Lichteinfall beständig sein Aussehen ändert, woran man natürlich auch wieder eine Geschichte binden kann. Wenn Sie wollen, eine philosophische vom Werden und Vergehen, von Permanenz und Kontingenz usw. Sie heben mit Ihrem Titel auf die Schönheit und Gefahr des Werks ab, die unmittelbar in der Schärfe des spitzen Glases und in der Schönheit der platonischen Kreisform zum Ausdruck kommen. Andere Betrachter werden anderes sehen. Und das, ich wiederhole es, ist genau in meinem Sinne. Es geht mir um die Betrachterfreiheit vor meinen Werken, nicht darum, eine spezifische Gesichte oder Bedeutung zu oktroyieren

 

D: Die meisten Ihrer Werke sind schwarzweiß. Ist das eine bewusste Entscheidung von Ihnen oder eher zufällig?

 

GM: Nein, die Entscheidung für die Nichtfarben schwarz und weiß ist kein Zufall. Ich habe im Verlauf meiner Arbeit auch Versuche mit anderen Farben gemacht, um meine Objektgründe zu gestalten, solche Optionen dann aber regelmäßig wieder verworfen. Da es mir darauf ankommt, dass sich die Glasschichten meiner Werke in ihrer Wirkung ungestört entfalten können, ist jede zusätzliche Farbe dabei hinderlich, weil sie eine zu große Dominanz entwickelt. Die prismatische Qualität des Glases zerlegt weißes Licht ohnehin in seine farbigen Bestandteile. Eine zusätzliche Farbe stört da nur das Gleichgewicht. Zudem ist die Polarität zwischen Schwarz und Weiß eine universale, welche die Werke wie von selbst mit Bedeutung auflädt. Solche Oppositionen kennen Sie aus der chinesischen Philosophie als entgegen gesetzte und zugleich aufeinander bezogene Kräfte in Form von Yin und Yang. Dabei stellt man sich das Yang als männliches, helles, hartes, heißes und aktives Prinzip vor, während das Yin als weiblich, dunkel, weich, kalt und eher passiv begriffen wird. In der abendländischen Philosophie drückt sich die Suche nach den Grundstrukturen und Urgründen der Welt in der Dialektik aus, von der das westliche Denken von der Antike bis in die Neuzeit in hervorragender Weise geprägt ist. Vor allem bestimmt sie die Philosophie von Georg Wilhelm Friedrich Hegel, für den sie eine Strategie par excellence ist, um den „Gang des Geistes in seiner Selbsterfassung“ zu beschreiben, wie es in seiner „Phänomenologie des Geistes“ heißt, einer Pflichtlektüre für jeden denkenden Menschen.

 

D: Warum ist Ihnen das Licht so wichtig in ihrem Werk?

 

GM: Warum ist das Licht so wichtig für uns alle? Weil es der Quell des Lebens ist. In christlicher Vorstellung beginnt die Schöpfungsgeschichte damit, dass Gott ein Licht anzündet. Es werde Licht, sprach er, und es ward Licht. So berichtet es uns die Bibel. Mit Feuer und Licht beginnt die menschliche Zivilisation. Denken Sie an Prometheus, der den Göttern das Geheimnis des Feuers stahl und es den Menschen brachte und der dafür von den Göttern schrecklich bestraft wurde. Licht ist zur universalen Metapher geworden für das Gute, Wahre und Schöne. So beschreibt bereits Platon die segensreichen Wirkungen des Lichts, und so lehrt es uns die europäische Aufklärung im 18. Jahrhundert. Von Licht erfüllt sein, heißt mündig sein, heißt selbst bestimmt denken. Aufklärung ist Ausgang des Menschen aus selbstverschuldeter Unmündigkeit, wie die berühmte Formel Immanuel Kants lautet. Im Französischen heißt das Zeitalter der Aufklärung nicht von ungefähr L´ Âge des Lumières, Zeitalter des Lichts. Dunkle Ecken auszuleuchten bedeutet, die Gespenster der Angst, der Depression und des Vorurteils zu vertreiben. Alle großen Denker sind eminente Lichtbringer. Noch bei Sigmund Freud finden sie diese Lichtmetapher. Wenn er erklärt, wo Es ist soll ich werden, meint das nichts anderes, als den Keller des Menschen, Freud nennt ihn etwas vornehmer Souterrain, auszuleuchten, damit der Mensch etwas weniger neurotisch und angsterfüllt durchs Leben gehen kann.

 

D: Arbeiten Sie bei der Herstellung Ihrer großen Glasobjekte allein oder mit Assistenten?

 

GM: Ich arbeite alleine und ohne Assistenten. Ich halte nichts vom konzeptuellen Verständnis der Kunst, nach dem die Idee alles ist und die Ausführung des Werks von jedem, der dazu in der Lage ist, übernommen werden kann. Meine Kunstwerke empfinde ich als innig verbunden mit mir und meiner Person. Verstehen Sie mich richtig: Ich will hier keinen Geniekult predigen. Aber wie ich es verstehe, sind meine Werke ein Teil von mir, und ich fühle mich für ihre Ausführung verantwortlich.

 

D: Wie lange brauchen Sie, um eine größeres Werk fertig zu stellen? Und welcher Part ist dabei am Schwierigsten zu realisieren?

 

GM: Für die Herstellung eines Werkes vom Format 200 x 200 cm brauche ich etwa drei Monate unter der Bedingung, dass ich regelmäßig jeden Tag für einige Stunden an ihm arbeite. Aber die Zeit, die es für die Produktion aufzuwenden gilt, empfinde ich keineswegs als belastend, auch wenn die handwerkliche Arbeit repetitive Momente bereithält. Ich arbeite mich dabei häufig in einen bewusstseinserweiternden Zustand, wie ihn Zen-Buddhisten beschreiben, wenn sie von ihren Meditationen berichten. Schwierig ist bei der Herstellung größerer Werke manchmal, die anfängliche Vorstellung, die man von ihnen hat, über einen längeren Zeitraum lebendig zu halten. Damit das Artefakt am Ende Begeisterung beim Betrachter entfachen kann, muss man als Künstler selbst begeistert sein und bleiben.

 

D: Können Sie sich noch an Ihre erste Glasarbeit erinnern?

 

GM: Natürlich. Wie könnte ich die wohl vergessen?

 

D: Bitte, erzählen Sie uns doch davon.

 

GM: Es war im Jahre 1998, nachdem ich auf das Displayglas als künstlerisches Medium gestoßen war. Ich brach das Glas mit Hilfe einer Spezialzange in lauter kleine, unregelmäßig geformte Scherben, die ich auf eine 60 x 60 cm große, weiß grundierte Leinwand schichtete und mit einem weißen Kleber weitgehend unsichtbar fixierte. Ich hatte die Scherben so ausgerichtet, dass sie alle in eine bestimmte Richtung schauten und eine homogene Struktur bildeten. Trotzdem änderte sich ihr Bild mit dem Einfallswinkel und der Stärke des Lichts, das auf sie fiel, und natürlich mit der Position und dem Blickwinkel des Betrachters. Das Unterschiedliche im Gleichen faszinierte mich. Dass etwas identisch und doch zugleich anders ist! Ich sah damit ins Bild gesetzt, was mir konstitutiv für jeden von uns erscheint und was der Dichter Arthur Rimbaud einst in die berühmt gewordene Diagnose fasste: Ich ist ein anderer.

 

D: Was, würden Sie sagen, hat Ihr Werk am Nachhaltigsten geprägt?

 

GM: Ganz sicher die Entdeckung des Displayglases und seiner Ausdrucksmöglichkeiten innerhalb eines Sets geometrischer Figuren, deren Ewigkeitswert als erster Platon vor Augen gestellt hat. Der bewegliche und lebendige Charakter des Glases im Rahmen einer fest gefügten und unveränderlichen Architektur führt beim Hinschauen zu immer neuen, reizvollen optischen Kollisionen und Erkenntnisfeuerwerken. Auch wenn ich das als erster Betrachter meiner Werke ganz unschwer selbst feststellen kann, werden mir diese Eindrücke von anderen Betrachtern ebenfalls immer wieder bestätigt. Missverstehen Sie meine Werkbeschreibung also, bitte, nicht als Selbstbeweihräucherung in eigener Sache, sondern nehmen Sie diese als eine von allen und jedem nachprüfbare Deskription, in der sich die Signatur meiner Werke ausdrückt.

 

D: Haben Sie eine Lieblingsarbeit?

 

GM (lacht): Die Frage ist ein Klassiker. Verständlich, dass Sie die nicht auslassen wollen. Vor Jahren und Jahrzehnten gab es in Westdeutschland einen berühmten Regisseur und Intendanten, Gustav Gründgens, dem man eine ähnliche Frage in Bezug auf seine Inszenierungen gestellt hatte. Und er antwortete: Immer die, die ich gerade mache. Also: Immer die Arbeit, die ich gerade mache.

​

D: Sie haben mit Ihrem künstlerischen Werk inzwischen viel Wertschätzung und Anerkennung erfahren. Haben Sie eine Muse oder ein künstlerisches Idol?

 

GM: Die Anerkennung meines Werkes ist sehr relativ. Wahrscheinlich glaubt man als Künstler immer, sie könnte stärker sein. Aber bei mir ist die Wertschätzung, die ich im Ausland erfahre, merklich höher als die im Inland. Warum das so ist, weiß ich auch nicht zu sagen. An mir scheint sich jedenfalls das alte Wort zu bestätigen, dass der
Prophet im eigenen Lande weniger gilt als im Ausland. Muse ist ein schön altmodisches Wort. Die Frage läuft darauf hinaus, was und wer mich in meiner Arbeit inspirieren. Darauf habe ich eingangs schon geantwortet.

 

D: Sie haben vor kurzem Shanghai besucht. Welchen Eindruck hatten Sie von der chinesischen Glaskunst?

 

GM: Vor meiner Reise nach Shanghai hatte ich wenig Berührung mit chinesischer Glaskunst. Erst in Ihrem Museum habe ich erfahren, dass die Arbeit mit Glas in China eine lange und stolze Tradition hat. Vor allem in den letzten Jahrzehnten hat die künstlerische Glasproduktion in China eine Blüte erlebt, die sich durchaus mit dem messen kann, was zur gleichen Zeit im Westen an Werken entstanden ist und entsteht. Das lässt sich in Ihrem Museum eindrucksvoll studieren. Umso stolzer macht es mich, dass ich mit einer eigenen Arbeit in Ihrer Sammlung vertreten bin.

bottom of page